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Auszüge aus Texten zum Werk

Dr. Christine Jung - Spiegelungen

Nach und nach sickern sie durch, beginnen zu fließen, sich zu formen und zu komponieren. Mehr und mehr verdichten sich die Töne, verweilen oder verbinden sich in neuen Klängen, um sich dann in der Bewegung wieder aufzulösen oder zu verwandeln, gleichsam in anderen Zusammenhängen zu entrollen: Das „Moving Ornament“, eine bewegte Installation aus mehr als 200 farbig bemalten Papieren, die auf 15 Rollen aufgezogen sind, offenbart in ihrer schwebenden oder schwingenden Hängung eine virtuose Ornamentiki. Je nach Antrieb setzen sich die Ornamente mal schneller drehend, mal langsamer kreisend in Bewegung, je nach Richtung formieren sie sich in immer wieder neuer Ordnung, in ständiger Wiederkehr oder dauernder Wandlung.

Von Anfang an entfaltet sich die Kunst von Angelika Gilberg nicht nur auf einer Ebene, sondern in weitaus größeren Zusammenhängen. Mit vielfältig abgewandelten Klängen und mehrfach abgestuften Tönen gestaltet die Künstlerin ihre Werke, die sich aus verschiedenen Motiven heraus entwickeln. Ihre Kompositionen zeugen von einer reichen Wechselwirkung: In ihnen spiegelt sich das Eine im Anderen, erweitert und verbindet sich in neuer Einheit, in neuer Harmonie. Jedes Einzelne korrespondiert hier mit dem Anderen und ist darüber hinaus Teil eines großen Ganzen, das in steter Veränderung und Verwandlung erscheint. Immer wieder sind es gleichsam Variationen eines Themas, die hier zum Vorschein kommen: Und zwar in vielfältigen Formen und Formationen, die in ihrem wechselvollen Neben- und Miteinander einen vielschichtigen Zusammenklang offenbaren.

Wie sich jedes Einzelne innerhalb eines Werkes von Angelika Gilberg fortsetzt und mit dem Anderen verbindet, so erscheint auch jedes Werk der Künstlerin in einem sich weiter entwickelnden Kontinuum. Das heißt: Viele ihrer Arbeiten, vor allem ihre Malereien, entstehen in offenen Serien, es bilden sich Gruppen heraus, die wieder aufgegriffen, erweitert oder auch offen gelassen werden. Dazu gehören abstrakte, geometrische Formen ebenso wie ornamental verwobene Muster oder vegetativ wuchernde Figurationen, aber auch landschaftliche Ansichten und Bildnisse. Gemeinsam ist diesen Werken, trotz großer Unterschiede in der Ausführung, dass sie alle in einem eigens entwickelten künstlerischen Verfahren hergestellt wurden. Fast alle sind in demselben Prozess entstanden, haben sich in der gleichen Form entwickelt: Mal mehr oder weniger pointiert oder „pointillistisch“, mal mit mehr oder weniger Punkten, Tupfen, Flecken oder Linien, die sich neben- oder übereinander in verschiedenen oszillierenden Konturen und Formen verdichten. Denn die aus Darmstadt stammende Künstlerin, die in Frankfurt an der Städelschule unter anderem bei dem Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch studiert hat, lässt in ihren Werken immer wieder die Farben und Formen fließen, durch das feine chinesische Papier, das sie zuvor einfach oder mehrfach gefaltet bzw. in mehreren Schichten übereinandergelegt hat. Darauf malt sie mit reinen Aquarellfarben das gesamte Bild oder einen Ausschnitt davon, je nachdem mal die Hälfte, ein Viertel, ein Achtel oder weniger. Aus der einfachen, zentralen oder mehrfachen Faltung heraus entstehen vielfach gespiegelte Versionen des Originals, die sich je nach Farbe oder Lage in unterschiedlicher Konsistenz präsentieren. Manchmal fallen die Pigmente einfach durch, dann wieder bleiben sie fest haften oder fließen in deutlichen Abstufungen durch die Schichten. Das Resultat sind vielfältige Farbkompositionen, die einen ständig wechselnden Eindruck von Raum und Tiefe erzeugen. Nichts bleibt dabei dem Zufall überlassen, alles wird vorher in Studien oder Vorzeichnungen geplant. Und doch gibt es immer wieder überraschende Wirkungen und Effekte, die sich erst nach der Entfaltung einstellen. Dies gilt vor allem für die kaleidoskopartigen Falter oder Pünktchenbilder, die in verschiedenen Zusammensetzungen neue sinnliche Dialoge zwischen den Ebenen, neue Interaktionen oder sogar „psychedelische“ Klänge zwischen Rand und Mitte erzeugen. Oftmals verdichten sich diese Abstraktionen wie rohrschachartige Gebilde zu etwas Gegenständlichem, zu scheinbar ornamentalen Mustern oder figürlichen Darstellungen. Mitunter bilden sich kosmisch wirkende Landschaften oder Panoramen heraus, die je nach Blickwinkel des Betrachters variieren, sich aus der Ferne annähern und doch sogleich wieder verschwinden. Aber auch das rein Ornamentale, das sich von Fläche zu Fläche neu formiert, taucht mitunter in ganz anderen, oftmals sogar landschaftlichen Zusammenhängen auf. Ebenso erscheint auch das Florale oder Vegetative in ständiger Verwandlung, wie die Blumenmotive mit ihren knospen- oder blätterreichen Blüten, die an viele innere oder äußere Formen und Körper erinnern. Unter diesen Darstellungen, die in großen Formaten aus der Tiefe wuchern oder auf der Fläche treiben, findet sich ein bekanntes, schon oftmals gespiegeltes Motiv: Die Seerosen im Teich, eingefangen in einem reichen Licht- und Schattenspiel, die sich - ganz im Sinne von Claude Monets Nymphéas - in einem verwobenen Kontext präsentieren. Mit ihren offenen oder geschlossenen weißen Blüten, umgeben von organisch anmutenden Blätterformen, erscheinen sie als ein Sinnbild der sich unerschöpflich vermehrenden und weiter entwickelnden Natur. Hier wie dort breiten sie sich in einem horizont- und uferlosen Panorama aus, in dem der Gegenstand und seine Spiegelung miteinander zu verschwimmen scheinen. So treiben auch die Seerosen von Angelika Gilberg im stillen Gewässer, aber keineswegs, wie bei Monet, in freien, wild wuchernden Bahnen, sondern vielmehr in einer gewissen vertikalen und horizontalen Ordnung, die den Blick freilässt auf die Spiegelungen in der Wasserfläche: Auf die sich reich entfaltenden Stern- oder Kreuzformen, die scheinbar etwas von oben, etwas „Höheres“ reflektieren.

Diese und andere Naturbilder, die eine gewisse Atmosphäre einfangen, zeugen von einer besonderen Stimmung, vielleicht sogar von einem eigenen Erleben oder einer persönlichen Erfahrung. Vieles, was die Künstlerin um sich herum beobachtet oder was sie umgibt, fließt ein in ihr Werk, verdichtet sich in einem Ausdruck, in einer Darstellung. Und vieles, was sie in ihrer nahen Umgebung oder auf fernen Reisen an Eindrücken sammelt, setzt sie in ihren Bildern um, vor allem in den Städtebildern und Landschaften. Von ihrem Heimatort Zettlitz bis hin nach Südfrankreich oder Italien zeigt sie variierende Ansichten, die das zentrale Motiv immer wieder von allen Seiten spiegeln. Entstanden sind Bilder von bekannten Bauwerken oder öffentlichen Plätzen, die losgelöst aus ihrer Umgebung in einem anderen, erweiterten Zusammenhang erscheinen: In spiegelbildlich gesteigerten Ansichten, die aus der Ferne betrachtet fast schon wieder abstrakte oder ornamentale Formen annehmen.

Neben diesen und anderen Landschaften widmet sich Angelika Gilberg auch dem menschlichen Bildnis, und zwar nicht nur dem realen, sondern auch dem idealen. Geschaffen hat die Künstlerin eine Reihe von verschiedenen Köpfen, so genannte Ikonen, die aus einer einfachen Faltung oder Spiegelung entstanden sind. Deshalb sind es nicht wirklich Porträts, es sind vielmehr gespiegelte Hälften eines Ganzen, gleich- oder ebenmäßige Bildnisse, die trotz aller Symmetrien oftmals etwas Charakteristisches oder Individuelles erkennen lassen. Verschiedene Typen bilden sich heraus, viele Gesichter kommen durch, die erst nach ihrer Entfaltung vielleicht doch an den einen oder anderen erinnern, ohne dass dies tatsächlich beabsichtigt ist und somit überraschend erscheint. Begonnen hatte die Malerin ihre Kopfserie mit einer Folge von Buddhas, mit mehr als 300 vielfarbig Leuchtenden oder Erleuchteten. Es folgten frierende Russinnen in Blauweiß, Mütter mit vielen Augen, aber auch Schwimmer oder Bacchanten und immer wieder Leser. Bei diesen Ikonen handelt es sich um anonyme, überzeitlich wirkende Köpfe von Frauen und Männern, nicht immer deutlich zu unterscheiden in ihrem Geschlecht. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, aus fernen oder nahen Welten, zeugen von verschiedenen Charakteren, und auch hinsichtlich des Alters gibt es deutliche Unterschiede. Zu sehen ist eine große Vielfalt an Individuen, die trotz aller Unterschiede etwas Gemeinsames aufweisen, einen bestimmten Ausdruck widerspiegeln. Nahezu alle strahlen eine gewisse Ruhe oder Konzentration aus, durchdrungen von einer vibrierenden, von innen heraus leuchtenden Lebendigkeit. Fast immer wirken sie in sich gekehrt, scheinbar entrückt und sind doch sehr gegenwärtig, in eine Handlung vertieft oder haben den Blick eindringlich auf das Gegenüber gerichtet, in einer mehr oder weniger engen Verbindung zu dem Betrachter. Nebeneinander aufgereiht präsentieren sie sich in einer scheinbar endlosen Folge, die immer wieder erweitert und fortgesetzt, erneuert oder verändert werden kann.

Aber nicht nur in der Malerei entwickelt sich die Formensprache von Angelika Gilberg in ihrer charakteristischen Vielfalt. Auch in anderen Bereichen zeigt die Künstlerin ihre „natürliche, undogmatische Vielseitigkeit“ii. Seit jeher befasst sie sich neben ihrem Schwerpunkt der Malerei auch mit anderen Künsten, unter anderem mit der Aktions- und Installationskunst, mit der Performance und Bildhauerei, mit Musik und Tanz. Vor einiger Zeit hat sie ein Werk geschaffen, das in besonderer Weise die darstellenden und bildenden Künste miteinander verbindet. Die Rede ist von ihrer „Inner Organ Music“, ein Musikstück in der Komposition von Peter Klimek, das mit den Instrumenten der eigenen Organe, mit den Tönen und Klängen von Herz, Arterien, Magen und Darm aufgeführt wurdeiii. Eines nach dem anderen setzt hier ein, ertönt erst leise und langsam, bis sich alle zusammen im „crescendo“ steigern, immer lauter werden, viele Höhe- und Tiefpunkte erreichen, um dann am Ende wieder zu versinken, leiser zu werden, zum Stillstand zu kommen: Der wechselvolle Lauf des Lebens von der Geburt bis zum Tod ist das Thema dieser Komposition - eine Hommage an Hermann Nitsch -, die mit einer Tanzperformance choreografisch umgesetzt wurde. In einem, von der Künstlerin entworfenen Ambiente mit weißen, organisch anmutenden Formen vor himmelblauem Hintergrund bewegt sich die Ballerina zu den Klängen der Musik. Von der embryonalen Stellung bis zum Finale tanzt sie in langsamen bis virtuosen Bewegungen immer wieder rund um eine sich drehende und balancierende Raumkapsel: Eine Darbietung, die in ihren wiederholten Spiegelungen an vieles denken lässt, an Organisches ebenso wie an Elementares, an Inneres wie an Äußeres, an das Erscheinen und Verschwinden in einem großen, mit mehreren Sinnen wahrnehmbaren Ganzen.

Auf einer anderen Ebene, in einer weiteren Dimension erscheinen die plastischen Arbeiten von Angelika Gilberg: Die Künstlerin entwirft und gestaltet Bronzefiguren, die in ihrer körperbetonten Form und grün patinierten Haut zumeist zwei verschiedene Wesen miteinander vereinen oder zumindest spiegeln. „Frau Blume“, „Frau Fisch“ oder „Fruchtstempel“ sind einige der bezeichnenden Titel ihrer Werke, die - in manchen Anklängen an die archetypisch anmutenden Figuren von Joannis Avramidis - auch die Natur, das Vegetative miteinbeziehen und miteinander verschmelzen oder verwandeln. Zumeist sind es sehr sinnliche, prall gefüllte Formen mit vielen körperbetonten Wölbungen, biomorphe Körper in metamorphosischen Übergängen, die von innen heraus zu wachsen scheinen. Alles fließt hier ineinander über, verbindet sich, ist nicht zu trennen, scheint zu pulsieren, zu atmen oder sich zu spiegeln in den Rundungen, in den vielansichtigen Formfiguren, die mitunter auch an andere ihrer Werkzusammenhänge erinnern.

Die Kunst von Angelika Gilberg ist, wie bereits erwähnt, nicht nur auf einer Ebene zu fassen. Sie spiegelt vieles mehr, verwandelt und verbindet es in neuer Einheit. Vieles scheint dabei durchdrungen von einem zentralen Thema, von der sich ständig erneuernden und weiter wirkenden Natur. Vieles zeugt von ihrer unerschöpflichen Vielfalt, von dem Reichtum sich entfaltender Formen, von „natürlichen“ Erscheinungen und Phänomenen. In ihrer Kunst, vor allem in der Malerei, scheint sich die Natur fortzusetzen, zu verdichten und zu verschmelzen: In immer wiederkehrender Form, in vielfältig gespiegelten Strukturen, die sich in der Reflexion nicht nur steigern, sondern auch die Perspektiven vermehren. So wie im antiken Mythos von Narziss die Spiegelung zu einer Erkenntnis bzw. Selbsterkenntnis und daraufhin zu einer Verschmelzung und Verwandlung führtiv, so verbindet sich auch hier das Einzelne mit seinem Spiegelbild, erweitert und verwandelt sich in einer neuen Einheit. Vergleichbar mit der Oberfläche des Wassers, die sich wellenförmig in Bewegung setzt oder auch langsam Kreise zieht, scheint der Gegenstand immer wieder auf- und abzutauchen, flimmernd oder flirrend zu verschwimmen. Dabei verliert vieles in seiner Spiegelung die feste Umgrenzung, wird gleichsam in seiner Individualität entgrenzt und geht eine neue Einheit mit seiner Umgebung einv. Vor allem „wiederholte Spiegelungen“ steigern laut Johann Wolfgang von Goethe die Erscheinungen, die „von Spiegel zu Spiegel nicht etwa verbleichen, sondern sich erst recht entzünden“vi. Was auf der einen Seite irritieren oder verwirren könnte, wie der Blick in zwei gegenübergestellte Spiegel beweist, erweist sich auf der anderen Seite als etwas Unendlichesvii. In diesem Sinne erscheint der Spiegel, der seit jeher das erweiterte Bewusstsein oder die Erkenntnis symbolisiert, als ein ‚alles’ umfassender Raumviii: Er wird - wie es im Zusammenhang mit Monets Seerosen-Bildern heißt - zu einem „ununterbrochenen, nicht fest definierbaren, nicht begrenzten, ‚entgrenzten’“ Raumix: Auch in den Werken von Angelika Gilberg öffnet sich der Bildraum in scheinbar unendliche Weiten, in andere Dimensionen. Hier, in diesen grenzenlosen Bildwelten, kann der Blick des Betrachters schweifen: Von einer Fläche zur anderen, von einer Form zur anderen, die verschiedenen Ebenen oder Sphären durchdringen, durchsickern, sich verfangen, um aus bestimmten Perspektiven heraus etwas zu erfassen oder wahrzunehmen. Denn je näher man diesen Werken kommt, desto unschärfer und verschwommener erscheinen sie, während sie mit größerer Distanz zunehmend deutlicher und konkreter werden. Manchmal sind es Spiegelungen einer äußeren Wirklichkeit, die etwas Inneres reflektieren, mitunter kehren sie etwas nicht Sichtbares nach außen und erscheinen selbst als eine Art Spiegel, in dem viel Bekanntes oder Unbekanntes betrachtet, in dem viel Anderes und Eigenes entdeckt werden kann. Und dies keineswegs nur auf einer rein zweidimensionalen Fläche, sondern auf mehreren, sinnlich wahrzunehmenden Ebenen: In immer wieder gespiegelter Form, „durch einander gegenübergestellte und sich gleichsam ineinander abspiegelnde Gebilde“, die ganz im Sinne Goethes einen „geheimeren Sinn“ offenbaren können.

Dr. Horst Appel, 2000

Für Angelika Gilberg stellt sich die Frage des Gegenständlichen oder Gegenstandslosen überhaupt nicht. Das erscheint vielleicht als nicht zeitgemäß, als ein Ausweichen, sich nicht entscheiden können. Aber ich sehe in ihrer Arbeitsweise keinen Widerspruch. Im Gegenteil! Jedes ihrer Bilder ist eine Entscheidung und sie folgt dieser Entscheidung kompromisslos. Nur scheinbar liegt diese Entscheidung bei dem Maler allein. Auch Angelika Gilberg kann nur das malen, wozu sie der Augenblick, die innere Sicht befähigt. Etwas wirklich Neues besteht immer erst dann, wenn der Maler glaubt, nicht mehr weiter zu wissen.

Prof. Michael Croissant, 1988

Angelika Gilberg nennt ihre Bilder "Falter". Sie entstehen durch Zusammenfalten von dünnem chinesischem Papier, das angefeuchtet und mit Aquarellfarben getränkt wird. Nachdem das Blatt wieder aufgefaltet ist, erscheinen kristalline Farbformen in vielfach gebrochenen Spiegelungen und Symmetrien, wobei die Farbintensität je nach Lage der eingedrungenen Farben wechselt, wodurch Räumlichkeit hervorgerufen wird.

Oft ist dieses Bild kaleidoskophaft aufgefächerter Prismen schon das endgültige Ergebnis, oder aber es werden Teile herausgeschnitten und mit anderen Blättern entweder zu Collagen verbunden oder wie Intarsien eingesetzt. In unerschöpflicher Vielfalt entfalten sich buchstäblich die Formen wie in Märchen oder Träumen inständiger Verwandlungsmöglichkeit zu Figurinen, islamischer Kacheln, Himmelskörpern, oder wachsen wie die japanischen Unterwasserblumen aus Muscheln. Die hochraffinierten und überraschenden Ordnungen, die sich durch die Methode des Faltens ergeben, könnte man mit der Form der Fuge in der Musik vergleichen. Sie geben den Bildern ihren Halt und eine Stimmigkeit und innere Notwendigkeit, ähnlich wie in der Kleist'schen Beschreibung des Marionettentheaters, wo jede Bewegung der Puppe deshalb gut ist, weil sie von der eigenen Mitte bestimmt ist.

Hermann Nitsch, 1988

Die strengen Forderungen der Avantgarde, die gemäß einer unerbittlichen Struktur verliefen, sind nun vorbei, in gewisser Hinsicht sind sie ausgeschöpft. Angelika Gilberg ist noch durch diese Forderungen durchgegangen, musste sich Ihnen stellen, setzte eine Antwort durch eine natürliche, undogmatische Vielseitigkeit. Ihre Begabung ließ sich in keine Form pressen. Neben gegenständlichen, konstruktiven Auseinandersetzungen gab es feinnervigste, vom Alltag sich abhebende, abstrakte Resultate, die sie in die Nähe psychedelischer Kunst rückten. Traumwelten von Farbklängen und kosmischen Räumen wurden festgehalten. Ihre Arbeit beschränkt sich in keiner Weise nur auf Malerei und Zeichnung. Sie beschäftigt sich mit Objektkunst und führte wichtige Aktionen durch, diese haben nichts Gewalttätiges an sich, sondern etwas Spielerisches.

Sie geht mit Freude mit den sinnlich wahrzunehmenden Substanzen um. Ihre Aktionsrituale lehren tiefer, nachhaltiger und sensibler zu empfinden. Angelika Gilberg bereichert die Performancekunst um einen spezifisch weiblichen Beitrag, der bisher in diesem Ausdrucksbereich fehlte. Ihre bildnerischen Leistungen wurden von Anfang an von lyrischen Resultaten begleitet. Die Symbolkanäle der Sprache interessierten sie genauso wie die Erscheinungsformen des Farblichen. Das Theater der schillernden Umweltphänomene wird durch Wort und visuelle Gestaltung nochmals in ihr Bewusstsein projiziert. In ihrer Frühzeit war Angelika Gilberg mit der Gruppe meff verbunden, welche sie wichtige Anregungen verdankte. Umgekehrt ist ihr rückwirkender Einfluss auf die anderen Künstler der Gruppe nicht zu übersehen. Die letzten Arbeiten der Malerin ziehen mehr oder weniger die Quintessenz aus allen ihren Erfahrungen. Der Zufall spielt bei diesen Werkgruppen eine Rolle. Farben werden auf bereits eingefeuchtetes, saugendes Papier gebracht. Es bilden sich Verläufe, Tönungen, Abstufungen, Auflösungsformen, die einerseits verfließen, aber auch zu klingen, zu blühen beginnen und sich zu blutender, tintiger Farbintensität steigern. Falteffekte ergeben fast Naturselbstdrucke, rorschachartige Gebilde entstehen. Die so eingefärbten Grundelemente werden geometrisch, kaleidoskopartig angeordnet. Die verfließenden Farben lassen zu Gerüchen von stark riechenden Blüten und Blumen von mandelbitterem Jasmin, giftigen, blauvioletten Veilchen, Zyklamen, weißem und blauem frischen Flieder, Maiglöckchen, Narzissen, Lavendel und zu gesamten Vielfalt des vegetativen Verströmens von Gerüchen assoziieren. Man glaubt puderartige Staubfarben wie von Schmetterlingsflügeln auf ihren Bildern zu erkennen. Farbwerte wie von Blütenstaub übermitteln sich.

Linearflächige Formelemente entsprechen mikroskopischen Wachstumsstrukturen. Eine vegetative Geometrie des Grundsätzlichen, die an Goethes Urpflanze denken lässt, ergibt sich. Pflanzliche Befruchtungsvorgänge scheinen dargestellt. Weibliches und Männliches begegnet sich, archetypische Formeln, mandalagleiche Zentren werden gebildet.

Matthias Bleyl, 1983

Die Konstante in den Arbeiten Angelika Gilbergs ist das der Bildfindung. Ungeleimte Chinapapiere werden – meist kompliziert – gefaltet, gelegentlich auch gestapelt, auch eingeschnitten, um die Faltmöglichkeit zu vermehren, angefeuchtet und dann mit Farbe durchtränkt. Die Farbe dringt, sich dabei abschwächend, durch die Papierlagen, die nach dem Trocknen wieder entfaltet werden. Dabei „entfaltet“ sich zugleich die Farbe.

Das Ergebnis sind, je nach Faltung, symmetrische, oder asymmetrische Farbflächen unterschiedlicher Intensität, je nach dem Maß der Farbdurchdringung: ein Verfahren, das sich bis zu einem gewissem Grad, nie aber völlig, vorauskalkulieren lässt. Durch die oft gleichmäßigen Strukturen des Farbauftrags, etwas Streifen, zeichnen sich die Faltungen durch ihre Unregelmäßigkeit um so deutlicher ab. Oft ist die Farbe aber nur flächig, sodaß es zu einem kaleidoskopartigen Wechselspiel kräftiger und, von der Faltung bewirkter, blasserer Flächen kommt. Diese Anordnungen erinnern an die unregelmäßig liegenden Glasstücke im Kaleidoskop, die durch Spiegelungen zu regelmäßigen Bildern ordnen. So wie dieses optische Spiel ständig wechselnde Eindrücke erzeugt, werden diese von der Farbe in Gilbergs Malerei bewirkt. Durch die Entfaltung entfaltet sich nicht nur ein Farben- sondern auch ein Formenspiel, das den suchenden Blick der Künstlerin angesichts des sich ihr überraschend Darbietenden anregt. Im Betrachten stellen sich „Visionen“ ein. Ganz im Sinne Max Ernsts, den seine bildnerischen Fantasien durch Aktivierung der Phantasie erst zur Findung der Bildwelt anregten, „findet“ die Malerin sie besonders ansprechende Figurationen in der durch die verschiedenen Helligkeitsgrade der Farbe eher willkürlichen Farbzusammenstellung, die sie daraufhin isoliert. Es entstehen dabei geformte Gebilde, die ihre – regelmäßigen wie unregelmäßigen – Umrisse einerseits den vorgegebenen Faltungen und der davon abhängenden Farbverteilung, andererseits der Imaginationskraft der diese betrachtenden Künstlerin verdanken.